Montag, 29. Oktober 2012

Die Waldglasflasche

Waldglasflsche, gefunden auf
Burg Wersau, Sommer 2012
Auf dem Sims des Kachelofens stand sie, die große bauchige Flasche aus grünem Glas. Das Personal durfte sie nur hervorholen, wenn der Fürst persönlich anwesend war, denn derlei Flaschen waren kostbar. Nicht weniger als die beiden genoppten Bechergläser aus venezianischem Glas, das im Gegensatz zu der Flasche vollkommen Farblos und durchsichtig war.
Diese Kunst beherrschten nur die Venezianer: Vollständig durchsichtiges Glas herzustellen. Daher war es auch entsprechend teuer und noch ein Grund mehr die gläsernen Kleinode nur dann zu verwenden wenn die Hochwohlgeborenen anwesend waren. Seit einigen Jahren machte der Kurfürst Friedrich der III. regelmäßig besuche auf der alten Burg um in den umliegenden Wäldern der Jagd nachzugehen. Häufig war das gleichzeitig eine diplomatische Mission, denn der Kurfürst hatte Ärger. Gewaltigen Ärger.
Denn er selber hing der calvinistischen Lehre an, was die Lutheraner im Reich nicht gerne sahen.

Heute war so ein Tag und der Diener Johannes räumte die Flasche vom Sims auf den Tisch, befüllt sie mit Wein aus dem Keller und stellte die venezianischen Gläser dazu. Denn um die Mittagszeit wurde der Kurfürst erwartet, in Begleitung hoher Herren. Worum es bei deren Verhandlungen ging, das war dem Diener unbekannt. Wohl schnappte er immer mal wieder auf, dass es um religiöse Themen ging, das war ihm aber gleich. Er war noch sehr jung gewesen als die Reformation in der Kurpfalz eingeführt worden war und ihn hatte das nicht so gestört wie seine Mutter, die nicht verstehen  konnte im Alter plötzlich nicht mehr zu Maria beten zu dürfen.
Er hatte gelernt in der Kirche kein Kreuz mehr zu schlagen, und sich an den neuen Ritus gewöhnt. Die Unterschiede zwischen der einen oder der anderen reformierten Konfession wahren ihm gleich. Es war sowieso einerlei, sollte der nächste Fürst einen anderen Weg einschlagen würden sie alle mit müssen und sich dann wieder auf die Seite schlagen, die dem aktuellen Herren genehm war. Was der Herrgott wohl dazu zu sagen hatte? Johannes schüttelte  in Gedanken den Kopf und stellte den Krug weg.
Die große bauchige Flasche glänzte jetzt dunkel vom roten Wein und Johannes lies es gut sein.

Nuppengläser aus weißem Glas, auch venezianisches Glas genannt.
Im 16. Jahrhundert gab es solches nur aus Venedig
Der Kurfürst betrat den Raum und hinter ihm kam ein Mann nach, der sich in der Kleidung von den anderen deutlich Unterschied.  Er trug die Kleidung eines Geistlichen, eines katholischen Geistlichen, was für die Bediensteten des Hauses ein ungewöhnliche Anblick war, denn solche waren hier nicht gerne gesehen. Aber an der Pracht erkannte man den hohen Rang und dies war etwas anderes.
"Nun Euer Hochwohlgeboren" sagte der Mann nach dem Austausch einiger Höflichkeiten,
"Wie steht Ihr zu dem Vorschlag?"
Der Fürst ging zum Tisch und griff langsam zu einem der gefüllten Nuppenbecher. So langsam, dass man fast glaubte er werde seinem Gast als nächstes Einschenken um noch mehr Zeit damit verbringen zu können ihm den Rücken zu zukehren. Aber das war undenkbar für einen Kurfürsten, auch wenn er das wohl am allerliebsten gemacht hätte.
Schließlich drehte er sich um und trat vom Tisch weg. Der Diener reichte dem Geistlichen den anderen Becher.
"Das war ein Vorschlag?", sagte Friedrich.
Der Geistliche schaute ihn gerade an. "Wenn Ihr das so nennen wollt".
"Wiederholt das." Sagte er ruhig.
"Ihr fahrt zum Reichstag nach Regensburg.", sagte der Geistliche und stellte das Glas wieder ab. "Sollte es notwendig werden, so werdet Ihr bei der nächsten Wahl eines Kaisers für Rudolf stimmen."
"Sollte es notwendig werden." Wiederholte Friedrich langsam. Ein Kaiser wurde nur gewählt, wenn der alte tot war. Und nur wegen einer Eventualität sandte der Papst keinen Nuntius zu einem Kurfürsten, der die alte Kirche ablehnte. Es war also wohl so, dass das Ableben des Kaisers dem Papst bereits durch göttliche Eingebung bekannt geworden war. Der Kurfürst glaubte aber nicht, dass der Papst irgend eine besondere Beziehung zu Gott hatte, sonst wäre er noch katholisch gewesen.
Der Geistliche breitete die Arme aus: "Und Euer Sohn wird dann nach Euch Kurfürst werden können", sagte er mit einer Stimme die Großzügigkeit andeutete, "Andernfalls" und er machte eine Pause, "wird die Welt die erste kurfürstliche Hexe erleben".
Der Kurfürst begann zu verstehen. Es passte alles zusammen. Er hatte sich gegen die Hexenerlasse gewehrt und dafür gesorgt, dass in seinem Fürstentum keine Frauen mehr wegen des Hexenglaubens verfolgt werden konnten. Ganz besonders hatte er sich um die wallonischen Flüchtlinge gekümmert. Und ganz besonders bald nach dem Tode seiner Frau um eine ganz bestimmte Walliserin. Das war für einen reformierten Fürsten, besonders für einen calvinistischen undenkbar. So etwas geheim zu halten war nicht einfach und jetzt hatte irgendwie die Kirche davon Wind bekommen. Aus einer Ausländerin konnte man schnell eine Hexe machen, besonders da sie mit dem Fürsten buhlte. Also würde man ihn beschuldigen eine Hexe zu verstecken und das konnte durchaus auch Wirkung auf seine protestantischen Verbündeten haben, glaubten die doch ebenso inbrünstig an diesen Unfug wie er das nicht tat.
Offensichtlich wollte man ihn dazu benutzen den richtigen Nachfolger für den Kaiser sehr bald einzuführen. Und das ihm. Maximilian war auf Ausgleich bedacht und den Protestanten zugeneigt. Ein Kaiser konnte nicht zu den reformierten gehören. Vielleicht wurde genau die Absicht, nämlich zu konvertieren, ihm gerade zum Verhängnis. Als isolierter Protestant ohne Verbündete im Reich hatte Friedrich auch keine Chance den Kaiser zu warnen oder irgend etwas zu verhindern. Wie immer sie das machten, sein Wissen würde ihm nichts nutzen, kannte er sich doch bei Hofe nur sehr schlecht aus. Er würde es noch nicht einmal schaffen den Kaiser unter vier Augen zu treffen und wem er trauen konnte wusste er auch nicht. Wenn irgendwelche Kräfte es sogar wagten den Kaiser zu ermorden, dann mussten die Ihre Spione überall haben.

Wut stieg in ihm auf. Eine unbändige Wut. So stark, dass er etwas tun musste. "Herrgott", rief der Fürst aus und knallte die Flasche, die er am Halse hielt auf den Tisch. Da er dies zu heftig tat und die Flasche nur aus dünnem Glas bestand, zerbrach sie im selben Augenblick und der darin enthaltene Wein spritzte hervor und lief über Tisch und Boden. Der Kurfürst hielt nur noch den abgebrochenen Hals in der Hand. Angewidert warf er diesen zum Rest der Überbleibsel.
Der Nuntius zeigte sich wenig beeindruckt. Er ging zur Tür, wobei er sich langsam die Handschuhe überstreifte. Dort blieb er stehen und sagte: "Ich wusste, dass Ihr guten Argumenten zugänglich seid."
Dann schritt er hinaus um die Burg zu verlassen.

Und wie vorhergesagt verstarb der Protestanten-freundliche Kaiser Maximilian II. während des Reichstages in Regensburg am 12. Oktober 1576 überraschend. In unchristlicher Hast wurde der neue Kaiser gewählt und Friedrich III. hielt es danach nicht mehr aus in Regensburg und reiste wieder nach Heidelberg ab. Wo er bereits einige Tage später, am 26. Oktober ebenfalls überraschend einen schnellen Tod fand. Sein Sohn Ludwig VI. trat wie versprochen seine Nachfolge an und zog es aber vor sich den Lutheranern anzuschließen. Ganz allein gegen alle Kräfte im Reich konnte auch ein Kurfürst nicht weiterkommen.

Die gezeigte Flasche wurde im Sommer 2012 auf der Burg Wersau gefunden. Es handelt sich dabei um sogenanntes Waldglas. Der Name hat nichts mit der Farbe zu tun sondern kommt von den Herstellungsorten dieses Glases. Die grüne Färbung entsteht durch geringe Eisenanteile in den verwendeten Rohstoffen. Nur die venezianischen Glasmacher hatten derart reine Materialien zur Verfügung, dass sie rein weißes Glas herstellen konnten. Dieses war natürlich auch entsprechend teuer.
Glas wurde bereits in der Antike gefertigt, stand aber über weiter Teile des Mittelalters kaum zur Verfügung.



Sonntag, 23. September 2012

Landsknecht-Messer

Das Messer von der Wersau. Gefunden im Sommer 2012
Martin nahm das Messer und stocherte damit im trüben Wasser des Uferbereiches herum. Aber nichts interessantes kam zum Vorschein.

Hinter ihm lag die Burg, die sie gerade genommen hatten und schwarzer Rauch quoll aus den Gebäuden. Matthias schleppte gerade eine schwere Kiste heran. Sie war nicht besonders groß aber offenbar sehr schwer und konnte deshalb nur eine aus Eisen sein. Schwere Beschläge zeichneten sich ab und der Landsknecht hatte Mühe sie vor die Burg zu zerren.
"Wo hast Du die denn gefunden", fragte Martin den Kameraden.
" Im Zimmer vom Verwalter", sagte der und deutete unbestimmt in die Richtung, wo die anderen Spießgesellen sich versammelt hatten.
"Er hat's dann doch nit ausg'halten", sagt er während er die Kiste keuchend vor Martin abstellte, richtete sich wieder auf und endete, "die glühende Zang ham mer ihm blos zeig'n müss'n". Dabei grinste er.
"Und jetzt?", fragte Martin, dem nicht daran gelegen war mehr Details zu erfahren. Das war auch der Grund warum er alleine auf der anderen Seite der Burg hockte während die Soldaten die überlebende Besatzung "verhörten" und Informationen eintrieben.
Er tippte mit dem Messer auf die eisernen Beschläge.
"Was willst Du damit? Da brauchst Du einen Schmied."
"Jo, ebn.", antwortete Matthias und sah ihn erwartungsvoll an.
Martin brummte kurz, denn das erinnerte ihn wieder daran, was er einmal gewesen war - eben ein Schmied.
"Ein Schmied mit Werkzeug", sagte er, während er sich die Kiste näher anschaute und das eiserne Vorhängeschloss begutachtete. Dann steckte er das Messer, welches er immer noch in der Hand hatte in den Boden neben die Kiste und sprang auf. Sein Blick wanderte das Ufer entlang und hinauf zur Burgmauer. Aber nirgends fand er auf Anhieb das was er suchte. Also setzte er sich in Bewegung und  begann die Mauer abzugehen.Als er sich dreißig Meter weiter umdrehte sah er wie Matthias mit seinem Messer im Schloss der Kiste stocherte. Das würde nichts werden.
Bald darauf fand er was er gesucht hatte. Einen schweren Stein, der gerade groß genug war und eine nahezu rechtwinklige Kante besaß. Erfreut hob er den auf und machte sich auf den Rückweg.
Inzwischen hatte er den Kameraden aus den Augen verloren, denn er war der Rundung der Burgmauer gefolgt. Als er ihn nun wieder zurück an den Ort kam, wo er Matthias sah, bemerkte er wie dieser inzwischen versuchte die Kiste zu öffnen. Er hatte das Messer irgendwie an der Kiste befestigt und drückte nun mit aller Kraft. Als dies nichts fruchtete begann er mit den Füßen darauf zu treten. Und zuletzt erkannte er wie der Landsknecht sich selbst an der Kiste festhielt und mit dem Fuß auf den Griff drückte. Jetzt war Martin auch nahe genug heran um zu sehen wie er das Messer an der Kiste hielt. Er hatte es in dem schweren Vorhängeschloss verkantet.
Und das war nicht gut. Denn Martin wusste, dass es für eine solche Belastung nicht gemacht war. Matthias würde sicher damit rechnen, dass sich das Messer verbiegen würde, sobald er zu viel Kraft  verwendete aber...
In dem Moment passierte es auch schon. Mit einem kurzen, scharfen Knall zerbrach das Messer und gleichzeitig stieß Matthias sein Knie gegen die Kante der Truhe. Er schrie auf vor Schmerz.
"Dammischer Kasten!"
Martin, der genau in diesem Moment bei ihm ankam bückte sich nach den beiden Teilen des Messers und besah sich die Bruchkante des Metalls. Matthias rieb sich die schmerzende Stelle am Knie.
"Zu viel Eisen." murmelte er. Was er meinte war Roheisen, das durch schmieden zu Stahl wird indem es seinen Kohlenstoffgehalt verliert. Aber davon konnte Martin noch nichts wissen. Er wusste nur, dass aus dem spröden Eisen biegsamer Stahl wurde je länger man es heiß schmiedete. Das Messer war ein wertvoller Besitz, aber Martin zuckte nur mit den Schultern und warf es in den Burggraben. Dann nahm er den Stein und begann mit der Kante auf das Schloß einzuschlagen und zwar so, dass er den Riegel langsam aufdrückte. Nach wenigen Minuten gab der Riegel nach.
Jetzt wurde Matthias wieder aufmerksam. Er hatte befürchtet Martin werde ihn schelten und hatte deshalb versucht die Aufmerksamkeit mehr auf seine Schmerzen zu lenken. Aber Martin hatte den Verlust leicht hingenommen. Weil er gierig auf den Schatz in der kleinen Kiste war? Matthias wusste häufig nicht, was den ehemaligen Schmied eigentlich bewegte.
Der klappte gerade die Schatulle auf und lachte.
"I versteh net was da zum lachen gibt?", sagte Matthias als er ebenfalls einen Blick in die Kiste tat. Da lag ein einzelnes Stück Papier darin. Und sonst nichts. Keine Geld, kein Gold, keine Edelstein. Wütend griff der Landsknecht nach der Kiste und machte sich humpelnd auf den Weg auf die andere Seite der Burg. Martin drehte sich nochmal um und warf seinem alten Messer einen Blick hinterher. Schade. Es war ein gutes Messer gewesen und hatte ihm immer gute Dienste geleistet. Und seine Zerstörung hatte noch nicht einmal Beute machen geholfen.
Draufsich von oben
Martin wusste was er jetzt zu tun hatte. Denn als nächstes würde der wütende Matthias über den Verwalter herfallen weil er sich für gefoppt hielt und den armen Mann alles antun wollen was ihm so einfiel und dann würden irgendwann die Kameraden auf den Gedanken kommen, er- Matthias - sei gerade dabei sie alle um ihre Beute zu betrügen, denn immerhin war er ja alleine mit der verschlossenen Kiste davon gezogen. Wenn Martin seine Geschichte nicht bestätigen würde, dann passierte womöglich ein Unglück. Denn die anderen Soldaten waren alle stets bereit ohne viel Federlesen einen der Ihren auch wegen eines eingebildeten Verrats auf die Folterbank zu spannen.
All das würde Matthias verhindern müssen.
Und dann würden sie die Burg Wersau wieder verlassen. Es war ohnehin nicht mehr viel zu holen dort. Diese Mauern waren vor vielen hundert Jahren einmal stark gewesen. Heute waren sie baufällig und alt geworden. Vielleicht baute der Kurfürst das Gebäude ja wieder auf, wenn sie abgezogen waren und der Krieg vorrüber ging. Vielleicht auch nicht.
Er drehte sich um und ging die Mauer entlang in Richtung seiner Kameraden.


Rekonstruktion


Das Messer wurde im Jahr 2012 bei Grabungen auf der Burg Wersau von einem Mitglied der Freunde Reilinger Geschichte gefunden. Dort wo man es fand war früher der Außenbereich der Vorburg und damit in etwa der Burggraben.